Langzeitüberleben - Im Gespräch mit Prof Dr. Dirk Schadendorf

Welchen Anteil machen Langzeitüberlebende in Ihrer täglichen Arbeit aus? Was ist Ihnen im Umgang mit diesen Personen wichtig?

Der Anteil an Langzeitüberlebenden ist verhältnismäßig klein in einem großen Hauttumorzentrum, weil dort der Fokus zumeist auf akuten Problemen liegt wie z. B. der initialen Hautkrebsdiagnose, nachfolgender Diagnostik und Chirurgie oder dem Auftreten von Metastasen und der Therapie. Je länger ein Hautkrebspatient/eine Hautkrebspatientin ohne neuen Krebsnachweis ist, desto mehr senkt sich auch sein/ihr Risiko, erneut einen Rückfall zu erleiden. Ab einem gewissen Punkt – zumeist ist der erreicht, wenn die Tumorfreiheit 5 Jahre erreicht hat – werden die weiteren Überwachungen nur noch sporadisch oder in großen Intervallen vom Zentrum übernommen. Langzeitüberlebende im engeren Sinne sind dann in meiner täglichen Arbeit zahlenmäßig wenig vertreten. Wichtig ist mir, mit den Betroffenen offen über Risiken und Chancen zu sprechen und sie auf die Zukunft ohne Angst und mit realistischer Erwartung bestmöglich vorzubereiten, da die Krankheitsverarbeitung und das Anpassen an die neue Lebensrealität vom Patienten/von der Patientin mit seiner/ihrer Umgebung selbst geleistet werden muss. Aber auch die Möglichkeit, bei Unsicherheit zum Tumorzentrum zurückkommen zu können, gehört für mich dazu.

Wie hat sich das Bewusstsein für das Thema Langzeitüberleben in den letzten 5 oder 10 Jahren verändert? Gibt es spezielle Fortbildungen für Behandelnde?

Langzeitüberlebende, vor allem in den Primärtumorstadien, sind bei allen Formen des Hautkrebses sehr häufig. Hier ist die Krebsdiagnose oft ein Schock, und die nachfolgende Krankheitsverarbeitung ist wichtig, während das Rezidivrisiko eher klein ist. Selbst bei Lymphknotenbefall beim Melanom erleiden mehr als 1/3 der Betroffenen nach adäquater Chirurgie keinen Rückfall, selbst ohne nachfolgende Therapie. Langzeitüberlebende, die 5 oder 10 Jahre überleben, nachdem eine Fernmetastasierung des Melanoms aufgetreten ist, sind jetzt etwas Neues, bedingt durch die neuen Therapien mit Checkpoint-Inhibitoren und zielgerichteter Therapie. Aus den Studien wissen wir, dass ca. 50 % der Melanompatientinnen und -patienten 5 Jahre überleben werden, in manchen Krankheitssituationen sind es sogar über 2/3 der Patientinnen und Patienten. Diese Daten sind bei den Ärztinnen und Ärzten bekannt, aber die langfristigen Folgen von Therapie und Auseinandersetzung mit der Krankheit sind nur unzureichend untersucht. Hier entwickelt sich erst ein Bewusstsein und erste Maßnahmen werden derzeit erprobt. Spezielle Fortbildungen für Behandelnde speziell zu Hautkrebs gibt es meines Wissens nicht, wenngleich das Thema „cancer survivorship“ auf großen internationalen Kongressen durchaus präsent ist.

Wie wird die Nachsorge und Langzeitunterstützung für Hautkrebspatientinnen und -patienten in Zukunft in Deutschland Ihrer Meinung nach aussehen? Welche Entwicklungen würden Sie sich zeitnah wünschen?

Es braucht strukturierte (und finanzierte) Rahmenbedingungen, welche die Nachsorge und Langzeitunterstützung in Zukunft gewährleisten. Aktuell fehlt die Strukturierung sowie eine verlässliche Vernetzung von ambulanter Versorgung im niedergelassenen Bereich mit den Schwerpunktzentren. Ein wesentlicher Hemmschuh ist eine fehlende sektorenübergreifende Strukturierung, das Fehlen einer belastbaren Dokumentation, die für Auswertungen und adäquate Vergütungsmodelle geeignet ist, um die Leistung fair abzubilden. Leider sehe ich in den nächsten Jahren keine umfassende Lösung, sodass viele der Angebote auch zukünftig Stückwerk bleiben werden und abhängig vom individuellen Engagement der Behandelnden sind. Das ist unbefriedigend, aber wohl nur durch Zusammenschluss über Hautkrebs-Betroffene hinaus langfristig erreichbar.

Prof. Dr. Dirk Schadendorf ist seit 2008 Direktor der Klinik für Dermatologie am Universitätsklinikum Essen. Außerdem ist er seit 2013 Direktor des Westdeutschen Tumorzentrums, Deutschlands größtem Tumorzentrum. Prof. Schadendorf engagiert sich in verschiedenen Gremien und ist seit 2013 in der Lenkungsgruppe bzw. dem Vorstand des NVKH e.V. aktiv.